Stefanie Schuster hat seit gut 20 Jahren Multiple Sklerose. Weder die Diagnose noch die Symptome haben sie gehindert, drei Kinder zu bekommen. Sie ist Redaktionsleiterin des KOMPASS und plädiert für eine Form der Annahme. Persönlich setzt sie auf Homöopathie und Muskelkraft.
Hier können Sie die Geschichte lesen:
Ich bin etwas über 40 Jahre alt und hab glaub ich jetzt seit gut 20 Jahren MS. Das erste Mal, als es aufgetreten ist, war ich Mitte 20 und ich saß mit meinen Freunden am Tisch, in einer Küche, und wir feierten eine nette, mittlere Party. Ich konnte plötzlich meinen rechten Fuß nicht mehr fühlen, die rechte Hand nicht mehr und die rechte Gesichtshälfte; und meine Freunde haben mich ins Krankenhaus gebracht. Da hat man mich die erste halbe Stunde nur gefragt, welche Droge ich genommen hab. Ich glaub, die haben ein komplettes Drogen-Screening mit mir gemacht. Mein Gott, haben die viel Blut abgenommen. Und die haben alles untersucht, und haben tatsächlich nichts gefunden. Und dann haben sie mich noch weitere drei Wochen durchgenudelt. Das waren ganz merkwürdige Ärzte. Keiner hat wirklich was offen gesagt.
Und, zehn Jahre später hatte ich das nochmal. Da wohnte ich aber schon in Berlin und bin an eine Ärztin geraten, die guckte mich versonnen an und sagte, sie möchte mich gerne mal zu ihrer Freundin überweisen, die wäre Neurologin. Die war aber im Urlaub und ich geriet wieder an einen ganz merkwürdigen Arzt. Und nach einer ganzen Reihe von Tests sagt er, naja, er kann es sich eigentlich nicht vorstellen – er behandelte mich, als wäre ich ein Simulant – aber im Grunde, denkt er, ich hätte MS, aber höchstens ’ne ganz leichte Form und ich soll mir bloß keine Sorgen machen. Und machen könnte man da überhaupt gar nichts, denn, das wäre so leicht, das lohnt sich quasi nicht. Vielleicht könnte ich Stress reduzieren. Damals war ich Leiterin der Bundes- und Außenpolitik bei Hundert,6 als es ein Nachrichtensender war und hatte echt noch ’ne sechzig bis siebzig Stundenwoche und an Stressreduzierung war eigentlich gar nicht zu denken. Aber es ging mir auch nicht besser. Und dann bin ich zu meinem Chefredakteur gegangen und hab ihm erzählt, ich wüsste jetzt auch nicht, was ich genau tun sollte, aber ich hätte wohl MS und ich müsste weniger arbeiten. Daraufhin war der ganz überraschend freundlich, das war er sonst nie, und ich hatte zack, zack eine Vier-Tage-Woche. Das war großartig. Das war das erste Mal, dass ich gemerkt hab, es kann auch durchaus was Positives haben, so ein bisschen krank zu sein, auch wenn das sehr unangenehm war. Ich hatte Konzentrationsstörungen und die Hand war taub. Ich konnte keinen Stift mehr halten. Ich konnte nur noch so ein bissl hinten – es war ganz blöd. Es war wirklich blöd. Da hab ich aber gemerkt, dass vier Tage in der Woche zu arbeiten und alle sind nett zu einem, was ganz, ganz Schönes sein kann. Und dann hab ich angefangen, mich damit zu arrangieren. Das ist jetzt bestimmt schon zwölf Jahre her.
Ich hab dann geheiratet. Das war etwa ein Jahr nach der Diagnose und ich war einigermaßen verzweifelt. Ich hatte ja auch schon vieles gelesen und es hat uns aber nicht wirklich beeindruckt, also meinen Mann auch. Wir sind mehr optimistische Typen und es ging uns ja soweit ganz gut. Also vor allem miteinander. Und ein Jahr nach der Hochzeit wurde meine Tochter Leonie geboren. Das ist jetzt gut neun Jahre her. Und danach gings mir ganz schlecht. Mir taten die Füße ganz schrecklich weh, ich konnte nur noch hinken. Ich war unsagbar müde, ist man ja sowieso mit Säugling, eigentlich. Der Arm war lahm, ich war völlig deprimiert. Das haben die alle völlig unterschätzt, also auch meine Ärzte haben das komplett unterschätzt, was das psychisch so bewirkt. Ich hatte keine Wochenbettdepression, um Gottes Willen. Aber die Anmutung ging dahin, es kannte sich auch schlicht keiner aus.
Und im Krankenhaus, wo ich damals war, konnte man damit überhaupt nichts anfangen. Ich geriet an eine Notaufnahme, die komplett überfordert war. So ein Klassiker, wie man das so kennt aus diesen medizinkritischen Beiträgen. Kommst in ’ne Notaufnahme, hast dir das Bein gebrochen und du kriegst vielleicht noch’n Gips drum rum, aber das wars dann auch. Und so ist man in etwa auch vorgegangen. Ich hab also sehr hochdosiertes Cortison bekommen, über einen Zeitraum von vier Tagen. Mein Mann sollte sich um den Säugling kümmern und die beiden waren auch miteinander überfordert. Das war also ’ne ganz blöde Lage. Und nach dem Cortison war’s auch nicht wirklich besser geworden. Man hat dann auch nicht weiter untersucht oder irgendwelche Veranstaltungen herbeigeführt, wo noch mehr hätte gemacht werden können. Das lief dann halt so vor sich hin und ich hab gedacht: „Also entweder das wird jetzt wieder oder ich seh ganz schön alt aus.“ Es wurde dann wieder.
Dann hab ich vier Jahre Pause gemacht bis zum nächsten Kind und dann war ich wieder krank. Aber diesmal, mit den selben Symptomen, diesmal bin ich zu meinem Homöopathen in Behandlung gegangen. Der hat lange rumgesucht. Hat glaub ich nicht wirklich das hundertprozentige Mittel gefunden, hat sich aber alles dann wieder mehr oder minder zurückgebildet. Die Taubheiten in den Händen, in den Armen, diese Lahmheit in den Schultern, die Kopfschmerzen, die Depressionen, das ist eigentlich immer so das Schlimmste. Und vor allem die Sehstörungen. Und beim dritten Kind bin ich gleich zu meinem Homöopathen gegangen. Der hat wieder lange rumgesucht, aber jetzt hat er glaub ich was gefunden. Und das ist immer so beruhigend.
Also ich schau auch manchmal was es so auf dem Markt der Schulmedizin gibt, aber ich trau der ganzen Sache nicht sehr. Denn ich denke die Nebenwirkungen sind da oft – wenn man nicht die richtige medikamentierbare Form der MS hat – genauso belastend wie die Krankheit selber. Ich hab also verdammt viel Glück gehabt, immer.
Ich gehe ständig ins Fitness-Studio, weil ich mir überlegt hab, das einzige, was helfen wird, wenn die Nerven nachlassen, ist Muskeln da zu haben, wo man sie vielleicht einfach mal so nicht hätte. Deshalb halt ich mich stets und ständig fit und hab das bis zum dritten Kind auch immer geschafft so zweimal die Woche ins Fitness-Studio zu gehen. Jetzt schaff ich’s nur noch einmal die Woche. Aber ich bleib dran.
Ich glaube, am besten funktioniert das, was mein Zahnarzt „psychische Desensibilisierung“ nennt und so zu tun als wäre das was man hat normal im Lebensablauf. Ich glaube, so ist es eigentlich auch. Ich glaube, ein großer mentaler Rückschlag in der heutigen Medizin ist es, dass man immer denkt, alles wäre gleich heilbar. Und man müsste gar nicht mehr krank sein. Das ist natürlich völliger Quatsch. Das gab es ja nie. Ich glaube, es verändern sich, medizinhistorisch betrachtet, die Krankheiten und die Art der Krankheiten. Aber ich glaube nicht, dass es möglich ist, die Krankheit ganz aus dem Leben zu vertreiben. Und diese Allmachtsfantasien, die immer mal wieder Medizin und auch den Normalbürger durchdringen – dafür muss es doch was geben – ist einfach das, was uns mit krank macht. Das gehört garantiert mit in diese psychischen Auswirkungen, mit denen umzugehen wir überhaupt nicht mehr gelernt haben.
Also in der Schwangerschaft ist alles fein. Das war auch immer so, da ging’s mir ganz prächtig. Ach, was hab ich viel gearbeitet in der Schwangerschaft. Das war ganz toll. Am meisten konnte ich arbeiten, weil ich mit meinem dritten Kind sehr lange stillliegen musste. Da bin ich nur zum Unterrichten aufgestanden. Das war toll. Und mein Mann musste die Hausarbeit machen und die Kinder mussten alles selber machen. Das war super. Da haben die viel bei gelernt und ich konnte im Bett liegen bleiben, mit meinem Laptop und schöne Geschichten schreiben. Das war toll.
Und danach, sechs, acht Wochen nach der Geburt kommt dann so ein Zusammenbruch, da wechseln die Hormone und da bricht dann die MS sich Bahn, als ob da so ein Staudamm bricht oder abgelassen wird.
Ich geh gar nicht regelmäßig zum Neurologen. Ich würde es vielleicht tun, wenn ich den Eindruck hätte, es brächte was. Aber alle meine Besuche bei Neurologen und alle aufwendigen Untersuchungen haben im Grunde nichts weiter gebracht als einen Haufen Arbeit und Anstrengung. Nämlich zunächst einen Termin zu bekommen, dann auf diesen Termin zu warten, sich dafür freizunehmen und so weiter. Im weiteren Verlauf musste man dann auch die Kinder noch höchst aufwendig irgendwo unterbringen. Das war alles – das brachte einfach nichts. Zu wissen, dass man wo wäre oder das was wäre, das wusste ich im Prinzip auch und das man nichts machen kann. Das war vom Ergebnis her so unbefriedigend, da stand der Aufwand wirklich in keinem Verhältnis zum Nutzen.
Ich finde, was am meisten nutzt, was wichtiger ist als jede Therapie, ist eine Form des Annehmens zu finden. Das war früher mal was, was einem der Glauben vermittelt hat. In einer zunehmen säkularisierten Gesellschaft ist es aber so, dass ständig die Allmachtsfantasien einer Wissenschaft oder seines-Glückes-Schmiedes-sein wollen, müssen, können, dazwischen funken. Man kann also nicht mehr für sich klarmachen, für sich annehmen, dass man krank ist oder dass was anders ist. Und man müsste im Grunde von der Behinderten-Arbeit her die Frage stellen – die kommt aus der Behinderten-Arbeit: „Was ist denn jetzt eigentlich normal? Wer ist normal? Ist gesund zu sein normal oder ist es die Ausnahme?“ Wenn man in die Geschichte geht, und zwar wirklich weit in die Geschichte zurück geht, ist es das glaub ich nicht. Ich glaub, es ist immer ein Geschenk gewesen, gesund zu sein. Oder sich gesund zu fühlen oder kräftig zu fühlen. Und sich ständig unter Druck zu setzen und ständig zu beobachten, ob der kleine Finger jetzt wirklich wieder beweglich genug ist, das ist ’ne ganz ungute Geschichte.
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