Marion Geiger erzählt in dieser Episode von ihrem Schreck über die Diagnose „MS“ und der Phase der Verdrängung. Heute kann sie mit der Krankheit umgehen und hat den Chor Singen ohne Barrieren gegründet. Denn: „Musik macht glücklich, Freude und heilt!“
Gepackt vom Gründungseifer, will Marion Geiger einen Verein gründen: „Aktiv mit Handycap“.
Bei Interesse, nehmen Sie Kontakt mit ihr auf.
Hier können Sie die Geschichte lesen:
Also, ich hab meine Diagnose vor 15 Jahren bekommen und die Diagnose lautet Encephalomyelitis disseminata, sprich: Multiple-Sklerose. Also vom Verlauf her wurde von Anfang an der primär progrediente Verlauf diagnostiziert. Das heißt, praktisch von Anfang an schleichend ohne Schübe. Das war eigentlich ein Zufall, relativ schlimmer Zufall. Ich hab ’ne ziemliche Grippe gehabt und nach der Grippe war mir immer schwindlig und ich hab dann beim Autofahren immer gemerkt, beim mich-umdrehen, dass es im rechten Auge so geflimmert hat und ich teilweise Sachen doppelt gesehen hab. Und, ich bin also wirklich fast zehnmal zum Augenarzt gegangen. Damals hab ich noch in meinem Hauptberuf in der Apotheke gearbeitet, da sagte mir meine Chefin: „Jetzt reicht’s. Bitte gehen Sie zum Neurologen.“ Und der hat das dann festgestellt.
Für mich war das ein Schock. Also, dass man überhaupt so eine schwere Krankheit so absolut schnell diagnostizieren konnte. Es lag daran, dass bei mir Herde im Gehirn vorhanden waren und durch den Liquor-Befund bei der Rückenmarksflüssigkeitsentnahme, Liquor-Entnahme, wurde das dann schnell festgestellt, dass das eben eine Entzündung, ein laufender Entzündungszustand ist. Man nennt das auch diese berühmten Oligoknonalen Banden und anhand des Auftretens dieser Eiweißketten konnt’s halt so schnell diagnostiziert werden.
Es war erst einmal ein Riesen-Schock. Das Leben hat sich halt dahingehend verändert, dass ich gemeint habe, mein Leben wird bald zu Ende sein. Ich hab meine Freundin durch eine ziemlich heftige Form und Auswirkung der Multiplen Sklerose verloren und hab Jahre später erst gelernt, dass die MS dafür nicht die Ursache war. Aber zu meinem damaligen Wissensstand war das so schlimm, dass ich vor lauter Schreck angefangen hab, die Krankheit so schnell wie möglich zu verdrängen und zu verschweigen. Und mein Leben hat sich dahingehend verändert, peinlich drauf zu achten, dass es weder meine Eltern erfahren, noch mein Arbeitgeber, noch sonst irgendjemand. Nur eine oder zwei Freundinnen.
Heute geh ich offener damit um, ja. Weil ich nicht mehr im Arbeitsleben stehen muss, ich muss nichts mehr verheimlichen. Jetzt teile ich meine Lieblingstätigkeit mit Menschen, denen ich vertraue. Und weil ich selber mit anderen gehandicapten Menschen Unternehmungen mache. Und weil es wichtig ist für mich, auch über die Krankheit denjenigen Aufklärung zu bringen, die es interessiert, die mich danach fragen. Ja, heute habe ich mich abgefunden mit den Zuständen der Multiplen Sklerose. Ich wäg‘ halt immer wieder ab, was schlimmer ist, also, ja, blind zu sein oder nicht zu hören oder durch ’n Unfall schwer gehandicapt. Die Multiple Sklerose hat mir Gott sei Dank die Gnade geschenkt, dass sie nicht so wahnsinnig schnell voranschreitet. Sie schreitet voran, aber ich kann damit umgehen; mit den Beschwerden, mit den Tagesschwankungen, mit den unterschiedlichen Reaktionen der Menschen. Und ich informier‘ mich, ja, seit 2008 – [lacht] ich muss lachen – aber ich informier‘ mich seit 2008 erstmalig auch, ja, genauer über MS.
Also was das Thema Einschränkungen oder fortschreitende Einschränkungen betrifft, das ist bei mir ganz unheimlich. Ich habe seit der Diagnose, die ersten acht Jahre, überhaupt keine Einschränkungen gehabt. Ich wusste, okay, ich habe die Krankheit. Aber ich hab’s innerlich nicht so glauben wollen. Und ich hab dann alle Register gezogen, nachdem ich den Schreck überwunden hatte. Nachdem ich erfahren hatte, dass die Krankheit nicht tödlich verläuft, hab ich angefangen eben mit’m Bergsteigen, mit verschiedensten Aktivitäten und hab da nur leichte Überanstrengungen gespürt, dass mir leicht schwindlig wurde. War überhaupt nichts. Das war echt unheimlich.
Dann hatte ich einen ziemlich starken Einschnitt. Da hab ich einen Todesfall im engsten Familienkreis erlebt und hatte fast ’n Jahr zuvor, bevor der Todesfall eingetreten ist, eben pflegen müssen. Das war mir ganz wichtig, dass auch zu machen und es ist so für mich okay gewesen, aber seit der Zeit nahmen dann die Beschwerden schon zu. Und dann, ab 2006, 2007 hab ich die Einschränkungen in den Beinen erlebt und ganz massiv in der Müdigkeit. Ich hab natürlich Vollzeit gearbeitet, war sehr anstrengend, hab in der Industrie gearbeitet, mit extrem viel Stress am Arbeitsplatz. Und 2007, 2008 haben dann schon die, ja, stärkeren Ermüdungserscheinungen, Steifigkeiten begonnen und die Spastizität ist dann 2008 extrem stark geworden, halt auch durch die berufliche Anstrengung. Und 2008 hab ich dann gesagt: „Okay. Ich reich‘ die Rente ein.“
Ich bin letztes Jahr praktisch ab Mai dauerhaft krankgeschrieben worden und hab da eine ziemlich persönliche Krise durchmachen müssen, dass ich einfach ab Mai 2009 nicht mehr konnte. Und mich hat dann ein ganz liebes Team von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft München aufgefangen, also da ging’s mir wirklich drei Monate so schlecht, das war die absolute Oberanspannung. Und als ich dann meine Rente für lebenslang bekommen habe, ich sprech von der Erwerbsminderungsrente, die so komplett ist, die vollständige Erwerbsminderungsrente, hab ich mir mehr oder minder als Dankeschön gesagt: „Okay, ich bin so froh, dass ich diesen Dauerkrieg überlebt hab. Und als Dankeschön möcht ich eigentlich so ein bisschen andere Leute an meiner Freude dran teilhaben lassen.“ Die MS, die ist da kurzzeitig in Hintergrund getreten. Sondern einfach nur, ich war so heilfroh, diesem Wahnsinnskrieg entronnen zu sein. Ich nenn mich auch selber „Veteranin“. Ich bin Kriegs-Veteranin in anderer Art und Weise und wollt‘ halt anderen Leuten eben das zurückgeben, was ich an Gutem erfahren hab. Das war so mein Hintergrund. Und der Chorname heißt „Singen ohne Barriere“, also oft auch SOB ganz einfach „Singen ohne Barrieren“ und der Internetlink heißt www.ms-chor.de. Was mir manchmal nicht so gefällt, weil ich oft angsprochen werde: „Ja, ist das ein MS-Chor?“ Die Abkürzung steht für „Miteinander Singen“. Das hat eigentlich mit MS gar nichts zu tun, sondern die sind alle Leut‘ mit verschiedenen Handicaps und ohne Handicap willkommen.
Ja, es gibt ja unterschiedlichen Stress. Wenn ich musiziere und trete auf, ist es für Otto-Normalbürger … die sterben vor Lampenfieber. Für mich ist es … das ist so, als würde mir jemand ganz viel Leichtigkeit und Lebendigkeit zurückgeben. Musik macht halt glücklich und macht Freude und heilt. So. Ich sag oft, wenn ich die Multiple Sklerose nicht bekommen hätte und nicht jeden Tag fast schon irgendwo mich selber verpflichtet fühlen würde, mir gegenüber, mir was Gutes zu tun, ich würde heute nie wagen, irgendwie mit dem Instrument vor’m Publikum zu spielen. Also, irgendwie hat mir die manchesmal, so den Mut aufgekommen. Jetzt erst recht. Jetzt bist schon so krank, jetzt geb‘ i‘ no’mal da oder dort Gas. Jetzt mach‘ i‘ des einfach no’mal. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt. Wie lang ich mich noch so bewegen kann. Und man kann übrigens auch im Rollstuhl hervorragend musizieren.